HALLE - Der "Zug der Erinnerung" hat Sachsen-Anhalt erreicht und wird in Halle von tausenden Besuchern empfangen. "Am Freitag kamen über 2.500 Menschen auf den Hauptbahnhof", berichtet Ulrike Pilz von der lokalen Initiative, die den Zugaufenthalt über mehrere Monate vorbereitet hat. "Mit diesem Zuspruch, mit einer solchen Anteilnahme haben wir zu keinem Zeitpunkt gerechnet." Anne Berghoff, die als pädagogische Begleiterin Schülergruppen betreut, bestätigt das große Interesse. "Es kommen nicht nur Schüler, es kommt ein Querschnitt der Bevölkerung, der in Museen nicht zu finden ist. Auf dem Bahnsteig bilden sich lange Schlangen. Die Menschen warten teilweise eine Stunde lang, geduldig, den Opfern zugewandt, für die historischen Tatsachen offen."
Die Ausstellung in Halle hatten die Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados und Dr. Ute Hoffmann als Sprecherin der Initiative eröffnet. Frau Hoffmann (Leiterin der Euthanasie-Gedenkstätte Bernburg) wies in ihrer Rede auf dem Hauptbahnhof von Halle auf eine unteilbare deutsche Verantwortung für die Deportationsverbrechen hin: "Es hat viele Jahre gedauert, ehe sich in der Erinnerung an die Ereignisse der Jahre 1933 bis 1945 die Erkenntnis durchsetzte, dass die Vernichtungspolitik der nationalsozialistischen Diktatur in vielen Bereichen eng mit der Alltagskultur des deutschen Volkes verbunden war – so zum Beispiel bei der Reichsbahn und ihren Transportkapazitäten, die die Insassen direkt in den Tod führte. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass viel mehr Menschen als nur die Angehörigen der Lager-SS ihren Beitrag zur Mord und Vernichtung von anderen Menschen geleistet haben – hier die Erarbeiter der Fahrpläne für die Sonderzüge, die Lokführer, die Rangierer und andere. Sie allen wussten um die Besonderheit dieser Fracht, manche hörten ihr vergebliches Rufen und Bitten und haben trotzdem 'nur ihre Arbeit gemacht'. Aber nur sie hatten überhaupt eine Handlungsalternative – nämlich sich zu beteiligen oder sich unter irgendeinem Vorwand zu entziehen. Die in den Waggons eingeschlossenen Menschen hatten keine Wahl mehr."
Frau Hoffmann bedauerte, daß sich die Bahn AG jahrelang weigerte, der Opfer auf den heutigen Bahnhöfen zu gedenken. "Aber diese Verweigerung führte zu einer neuen Form der Erinnerungskultur in Deutschland: dem Zug der Erinnerung..." Um ihn durch Deutschland fahren zu lassen, verlange die Bahn AG "immense Gebühren." Es ergebe sich "das makabre Bild, dass früher die Reichsbahn an den Transporten verdiente und heute die Bundesbahn an der Erinnerung an die Opfer dieser Transporte."
Am zweiten Tag
des Aufenthalts in Sachsen-Anhalt fuhr der "Zug der Erinnerung"
nach Bernburg. In Bernburg befand sich eine der sechs zentralen
"Euthanasie"-Anstalten,
in denen mehr als 70.000 kranke und behinderte Menschen
ermordet wurden, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche. Ab
August
1941 begann in Bernburg die "Sonderbehandlung 14 f 13" - ein Programm
zum
Massenmord an KZ-Häftlingen. Bis zum März 1943 wurden etwa 5.000
mehrheitlich
jüdische Häftlinge aus den Konzentrationslagern Buchenwald,
Flossenbürg,
Groß-Rosen, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen in den Bernburger
Gaskammern umgebracht.
Der "Zug der Erinnerung" wird noch bis Sonnabend, 19.00 Uhr, in Halle stehen. Die Hallenser Initiative rechnet mit insgesamt über 5.000 Ausstellungsbesuchern. Ulrike Pilz: "Es ist überwältigend. Es ist eine tiefe Verneigung vor den Opfern!"